Zu Gast im Niddener Thomas Mann-Haus
Reinbeker Delegation bestritt die Thomas Mann- Festtage 2009
Er sei überwältigt vom „Eindruck des Elementarischen“ hat Thomas Mann über die Kurische Nehrung einmal ausgeführt, wo er im Künstlerdorf Nidden sich ein Sommerhaus hatte errichten lassen, welches er aber nur wenige Male, von 1930 bis 1932, mit seiner Familie hatte besuchen können. Heute ist sein schmuckes Domizil von damals dass geistige Zentrum, nicht nur der Nehrung, und touristischer Mittelpunkt der großen Dünenlandschaft zwischen Haff und Ostsee.
Auf Einladung des Thomas Mann-Hauses machte sich eine kleine Reinbeker Delegation dorthin auf, um die diesjährigen Kulturtage mit Lesungen, Vortrag und Ausstellung zu gestalten. Der Leiter des Reinbeker Kulturzentrums, Bernd M. Kraske, hatte ein fünfteiliges Programm entwickelt, das vom 8. bis 12. August bei den meist deutschen Besuchern außerordentliches Interesse fand. Zusammen mit seiner Frau Eva-Maria und dem Hamburger Sozialhistoriker Thomas Held lasen sie die Briefwechsel zwischen Thomas Mann und seiner Frau Katia wie auch denjenigen mit seiner amerikanischen Gönnerin Agnes E. Meyer. Kraske hatte zuvor eine Ausstellung über Thomas Mann und den Berliner Studenten Harald Kohtz präsentiert, der viele neue Details der Thomas Mann-Forschung enthielt. Mit von der Partie war die Freundin des Schlosses Reinbek, Gisela Westphal, die eigens vom Zürichsee angereist war, um ihr Portrait von Katia Mann einem gespannt und gerührt lauschenden Publikum nahe zu bringen. Zum Abschluss der Kulturreihe, am Todestag Thomas Manns, hielt Bernd M. Kraske im überfüllten Haus einen Vortrag über die Tagebücher des Lübecker Nobelpreisträgers, dem ein kleines Konzert für Klarinette und Klavier folgte.
Die Aufnahme bei Gastgebern und Publikum übertraf die Erwartungen der Reinbeker. Die Menschen drängten sich zu den abendlichen Veranstaltungen. Bei meist schönem Wetter saß man auf der geräumigen Terrasse des Hauses, lauschte den Vortragenden und ließ die Blicke gleiten auf das sonnen umglänzte Haff, von dem ein lauer Wind herüberwehte und manchmal auch ein wenig Möwengelächter. Die Aura des Ortes beflügelte das Gesagte und Gehörte aufs Schönste, gab ihnen eine zusätzliche Richtig- und Wichtigkeit. Das Publikum spürte dies sofort und dankte mit einer Herzlichkeit, die nicht immer so zu finden ist.
Das große Erlebnis für die Akteure und Mitreisenden aber war die Nehrung selbst, dieses ungeheure Naturerlebnis; die große Düne bei Nidden, mit dem eingebetteten Tal des Schweigens, der Anblick zweier Meere unter einem blauen Himmel mit leichten Wolken und die Unendlichkeit aus Sand und Kiefern. Und natürlich waren es die Menschen, die in ihrer natürlichen Wärme und Herzlichkeit nicht nur perfekte Gastgeber waren, sondern längst schon zu Freunden geworden sind.
Zu den Reisenden gehörte auch das Ehepaar Kaufmann, das während der Festtage den Verein „Freunde des Schlosses Reinbek“ in Nidden repräsentierte und den Menschen vor Ort das Reinbeker Schmuckstück ein wenig näher brachte.
Nidden und die Kurische Nehrung sind ein Juwel unter den Ferienorten. So ähnlich hatte schon Wilhelm von Humboldt gedacht, als er notierte: “Die Kurische Nehrung ist so merkwürdig, dass man sie eigentlich ebenso gut wie Spanien und Italien gesehen haben muß, wenn einem nicht ein wunderbares Bild in der Seele fehlen soll.“
Thomas Mann Festtage 2009
Schloß Reinbek zu Gast in Nidden
Ein Rückblick
Ein Interview mit Bernd M. Kraske
Welche Eindrücke haben Sie diesmal von der kurischen Nehrung gehabt? Was denken Sie über die dortigen Menschen und wie waren die Veranstaltungen im Thomas Mann-Haus aus Ihrer Sicht?
Ich war zum dritten Mal auf der Nehrung. Einmal im Herbst, einmal im März bei noch zugefrorenem Haff und jetzt, erstmals, zur Saison. Der Eindruck war jedes Mal ähnlich: Eine ganz besondere Atmosphäre aus Licht, Luft, Wasser und Sand kommt einem entgegen. Selbst noch bei der Fülle im Sommer hat man nicht den Eindruck von touristischer Okkupation. Über allem liegt eine entspannte Ruhe und Gelassenheit.
Den größten Eindruck auf mich machen immer wieder die Hohe Düne mit dem eingebetteten Tal des Schweigens und der Ausblick vom Schwiegermutterberg aufs Haff. Wer das einmal erlebt hat, der kann gut verstehen, dass Thomas Mann sich dort ein Haus gebaut hat.
Und natürlich sind es die Menschen mit ihrer so selbstverständlich daherkommenden Gastfreundschaft. Vitalia, Eduardas, Sie selbst, Ihre Schwester Ausra mit Familie, die Gruppe Giedruze sind längst zu Vertrauten oder gar Freunden geworden. Wenn wir uns in Reinbek oder Nidden treffen ist das mittlerweile gar nichts Besonderes mehr. Wir kommen zu Ihnen so, als kämen wir nach Hause. Das hat man nicht überall.
Über die Veranstaltungen im Thomas Mann-Haus kann ich als Beteiligter natürlich wenig sagen. Wir sind dankbar für die Einladung, dort unsere Programme vorgestellt haben zu dürfen. Es ist schon etwas Besonderes, gerade in diesem Haus lesen zu dürfen. Die Aura des Ortes spricht überall mit und unterlegt und bekräftigt die von uns gelesenen Texte aufs Schönste.
Der Name Thomas Mann hat zu seiner Lebenszeit eine wohl sehr wichtige Rolle im kulturellen und politischen Leben in Deutschland gespielt. Tut er das jetzt immer noch?
In der Tat, Thomas Mann war wohl der wichtigste deutsche Schriftsteller seit Goethe. Er hat nicht nur in Deutschland eine herausragende Rolle gespielt, sondern als Repräsentant Deutschlands hatte er Weltgeltung. Und er war der wichtigste Gegenspieler zum Scheusal Hitler und hat damit entscheidend dazu beigetragen auch ein unbeflecktes Bild Deutschlands vor der Welt zu bewahren. Ich zitiere Ihnen einen Satz von Marcel Reich Ranicki, dem wohl bekanntesten Literaturkritiker in deutscher Sprache, der als Jude mit knapper Not der Shoa entkommen ist. Er schreibt in seiner Autobiographie:
„Sollte ich mit zwei Namen andeuten, was ich als Deutschtum in unserem Jahrhundert verstehe, dann antworte ich, ohne zu zögern: Deutschland – das sind in meinen Augen Adolf Hitler und Thomas Mann.
Nach wie vor symbolisieren diese beiden Namen die beiden Seiten, die beiden Möglichkeiten des Deutschtums. Und es hätte verheerende Folgen, wollte Deutschland auch nur eine dieser beiden Möglichkeiten vergessen oder verdrängen.“
Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Und: Ich glaube, dass Thomas Mann noch immer von allergrößtem Interesse ist. Aus den oben beschriebenen Gründen, aber auch, weil er als Erzähler ein Genie war. Seine Romane und Novellen werden zu jeder Zeit gelesen werden, weil in ihnen das Menschliche überhaupt verschlossen und versiegelt liegt.
Interessiert sich die jüngere Generation noch immer für Thomas Mann? Wenn ja, in welchem Maße?
Auch in der jungen Generation hält das Interesse an, in dem Maße jedenfalls, in dem überhaupt noch Literatur gefragt ist. Nimmt man die immer noch anschwellende Sekundärliteratur über ihn als Maßstab, so wird man sagen müssen, dass das Interesse an Werk und Person uneingeschränkt anhält.
Was bedeutet für Sie persönlich Thomas Mann? Sehen Sie Ihre diesbezügliche Tätigkeit als eine Art Mission?
Bereits als halbes Kind noch habe ich Thomas Mann für mich entdeckt. „Tonio Kröger“, „Der Tod in Venedig“ etwa sind solche Schlüsselwerke, die mich ein Leben lang begleiten. Und dabei stellt man fest: man liest und versteht sie auf jeder Lebensstufe neu und jedes Mal anders. Das scheint mir ein Echtheitsbeweis für allerbeste Literatur zu sein. Und mir hat immer die Entschiedenheit imponiert, mit der dieser Mann gegen Hitler und für Deutschland aufgetreten ist. Auch die heutige Generation kann überall in der Welt davon lernen. Er tat es aus Abscheu gegen die Menschenverächter und aus Liebe zu seinem Land, und das alles kraft einer tief verletzten und auch verletzenden Persönlichkeit, die an ihren Widersprüchen litt, sie sublimierte und im Werk fruchtbar machte. Die vielen Schattenseiten im Leben des Thomas Mann waren mir nie dunkel genug, um das Helle und Lebendige, das einem aus seinem Werk und der unerschrockenen Haltung gegen die Nazis und für Deutschland und Europa entgegenstrahlt auch nur ein wenig einzutrüben.
Meine Tätigkeit hat im Ursprung nichts Missionarisches. Das haben Werk und Person Thomas Manns gar nicht nötig. Wenn man aber aus meinen Bemühungen die Liebe heraushört und –liest, die ihnen zu Grunde liegt, so freue ich mich darüber.
Könnte oder sollte man solche Programme wie bei den Thomas Mann-Festtagen in Nidden auch weiterhin im nicht deutschsprachigen Ausland organisieren? Welchen Zweck könnte man damit verfolgen? Auf welche Weise sollte das gemacht werden?
Natürlich kann und soll man derartige Lesungen und Vorträge auch im Ausland halten. Die Veranstaltungsserie in Nidden ist ein schöner Beweis dafür, dass Menschen zu interessieren sind. Das Problem der Fremdsprachlichkeit bleibt natürlich, aber es gibt überall Menschen, die deutsch verstehen und wo nicht, sollte man mit ein wenig Übersetzung helfen, z.B. durch Kurztexte in Landessprache, die das Thema aufbereiten.
Man macht damit auf einen der wichtigsten Autoren des 20.Jahrhunderts aufmerksam, der nicht nur Deutschland, sondern der Welt gehört. Das teils in NIdden geschriebene Epos „Joseph und seine Brüder“ ist eine welt- und zeitumfassende Erzählung, die alles einschließt an menschlichem Glück und Gebrechen. Ich kenne kein zweites Buch – neben der Bibel – von dem ich das sagen könnte.
Unsere eigene Kunst und Kultur –in unserem Fall- Literatur einem anderen Kulturkreis zu vermitteln ist eine schöne und lohnende Aufgabe für Menschen, die es mit anderen gut meinen. Im Fremden den Nachbarn und Freund zu erkennen und zu akzeptieren, darum sollte es immer und überall gehen.
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Die Fragen stellte Nida Matiukaite, Dozentin am Germanischen Seminar der Universität Vilnius.
Bernardinai.lt – Internito dienraštis 25. 8. 2009